Retikulozyten-Reproduktionsindex (RPI)

Den Rechenparameter RPI geben wir auf dem Befund an, sobald sowohl ein Blutbild als auch Retikulozyten angefordert sind. Auf unseren Befunden werden die in Tab. 1 angegebenen Grenzwerte, ab denen von einer adäquaten Erythropoese ausgegangen werden kann, als Normwert angegeben.

Hämatopoese und Retikulozyten

Noch im Knochenmark stoßen Normoblasten den Zellkern aus und werden so zu Retikulozyten. Retikulozyten verweilen bei normalem Hämatokrit (Hk 0,45 / 45%) noch 3,5 Tage im Knochenmark und sind anschließend noch einen Tag im peripheren Blut nachweisbar, ehe sie zu Erythrozyten ausreifen.

Reifungszeit der Retikulozyten
Abb.1:
A Reifungszeit (RZ) der Retikulozyten im Knochenmark und Blut in Abhängigkeit vom Hämatokrit (HK)
B Verhältnis von Hämatokrit (HK), der Reifungszeit (RZ) der Retikulozyten im Knochenmark und im peripheren Blut zur Berechnung des RPI1

Bei sinkendem Hämatokrit werden die Retikulozyten früher aus dem Knochenmark ausgeschwemmt (s. Graphik) und befinden sich entsprechend länger im peripheren Blut. Allein dadurch steigt die Retikulozytenzahl an. Deshalb kann der Anstieg der absoluten Retikulozytenzahl nicht als alleiniger Beurteilungsparameter verwendet werden, ob es sich um eine sog. adäquate Erythropoese oder Regeneration handelt. Eine Korrektur ist durch die Berücksichtigung der angenommenen Verlängerung der Retikulozyten-Reifungszeit möglich. Dies wird als Retikulozyten-Reproduktionsindex (RPI) angeben:

Ein erhöhter Retikulozytenwert ist bedingt durch:

  • eine vermehrte Regeneration bei Verkürzung der Erythrozytenlebenszeit oder Blutverlust.
  • eine verlängerte Verweildauer der Retikulozyten im peripheren Blut.

Der RPI reflektiert die Steigerung oder Verminderung der Erythropoese um ein Vielfaches der Norm.

  • Eine Steigerung der Reaktivität ist bei entsprechender Stimulierung bis um das 8fache möglich.
  • Eine Hyporeaktivität liegt vor, wenn nur eine Steigerung der Reaktivitivität von weniger als 2fach möglich ist. Bei fallendem Hämatokrit nimmt die Erythropoetin-stimulierte Reaktivität der Erythropoese zu.
  • Die Hämatokrit-abhängige längere Verweildauer im Blut (s. Abb. 1) wird durch den RPI berücksichtigt2.

Hämatokrit [%]Retikulozyten [G/L]RPI
351502-3
25250>3
<25>250>4
Tab. 1: Mindestwerte der absoluten Retikulozytenzahl und des RPI, die bei intakter erythropoetischer Markfunktion und ausreichender Eisenversorgung erreicht werden sollten 3.
  • Ohne Korrektur der verlängerten Verweilzeit wird bei zunehmender Anämie die Erythrozytenbildung durch die absolute Retikulozytenzahl zu hoch eingeschätzt und die Erythrozytenlebenszeit durch die relative Retikulozytenzahl zu niedrig.
  • Mindestwerte des RPI und der Retikulozytenzahl, die bei intakter Markfunktion erzielt werden sollten sind in der Tab. 1 3.
  • Bei einem Hk von 0,35 / 35%
    • weist ein RPI um ≥2 auf eine regenerative, ein RPI ≥3 auf eine hyperregenerative Erythropoese hin.
    • zeigt ein RPI <2 eine hyporegenerative Erythropoese, z. B. Anämie chronischer Erkrankungen durch Entzündung, Infektion, malignen Tumor oder eine intrinsische Hypoplasie der Erythropoese an.

Literatur

  1. Carl Thomas Nebe, Heinz Diem und Hermann Heimpel. Aktuelle Aspekte zur Bestimmung der Retikulozytenzahl. J Lab Med 2010;34(6):295–304
  2. NCCLS. Methods for reticulocyte counting(flow cy- tometry and supravital dyes). Approved guideline. NC CLS Document H 44 A, Vo1 17, No 15. Villanova: NC CLS. 1997
  3. Heimpel H, Diem H, Nebe CT. Die Bestimmung der Retikulozytenzahl: Eine alte Methode gewinnt neue Bedeutung. Med Klin 2010;105:538–43.